UNERSCHROCKENER VORKÄMPFER

SYMBOLFIGUR Das preisgekrönte Drama „Wackersdorf“ schildert den Kampf um die nukleare Wiederaufbereitungsanlage aus Sicht des SPD-Landrats Hans Schuierer. Der legte sich einst mit der CSU und der mächtigen Atomlobby an.

Foto: Johann Haas/dpa

Für Hans Schuierer läuft es 1981 gar nicht gut. Arbeits- und Perspektivlosigkeit ­plagen die Bürger des Landkreises Schwandorf, die Steuer­einnahmen sinken. Seine Wiederwahl als Landrat ist ungewiss. Da kommt das Vorhaben der Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen gerade zur rechten Zeit. Deren milliardenschweres Bauprojekt – eine nukleare Wieder­aufbereitungsanlage (WAA) am Standort Wackersdorf – verspricht 3.000 neue Jobs für die Region. Nach Angaben des Betreiberkonsortiums sei „alles absolut sicher“. Doch kaum sind die Pläne publik, entwickelt sich der Ort zum Brennpunkt der Auseinandersetzung zwischen der Atomlobby und ihren Gegnern. ­Schuierer steckt in einem Dilemma: Soll er dem Bau aus wirtschaftlichen Gründen zustimmen oder ihn blockieren?
Damit sind wir beim Ausgangskonflikt in Oliver ­Haffners preisgekröntem Drama „Wackersdorf“, das ARTE im Juni ausstrahlt. Rund drei Jahrzehnte nach dem Baustopp der WAA 1989 ruft der Film viele Erinnerungen wach – schmerzvolle und glückliche. Ein Stück bundesdeutsche Zeitgeschichte, das die Bewohner der Oberpfalz nachhaltig geprägt hat und den ehemaligen Landrat Hans ­Schuierer (im Film gespielt von ­Johannes Zeiler) noch heute beschäftigt.
Seit der Kinopremiere 2018 hat der inzwischen 89-jährige SPD-Politiker den Film „bestimmt zwei Dutzend Mal gesehen“, sagt er im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Meist auf Veranstaltungen in Schulen und Gemeinden, wo er von den Erlebnissen im „Zentrum des Wahnsinns“ berichtet, wie ­Schuierer die Baustelle von Wackersdorf rückblickend nennt. „Viele Menschen sind erschüttert und geradezu verstört, wenn sie erfahren, wie erbittert die Auseinandersetzung ausgetragen wurde – und wie brutal die Staatsregierung damals vorging.“
Der Freistaat ließ sich nicht lumpen: Bayerns Ausgaben für außerordentliche Polizeieinsätze beliefen sich 1986 auf mehr als 50 Millionen Deutsche Mark. Im Haushalt waren gerade einmal 1,25 Millionen DM dafür vorgesehen. ­Schuierer bekam die Staatsmacht auch persönlich zu spüren. Er wurde observiert und handelte sich ein Disziplinarverfahren ein, weil er die Regierung des Ministerpräsidenten Franz-­Josef Strauß (CSU) als „Ein-Mann-Demokratur“ bezeichnete. Noch heute ist der SPD-Mann überzeugt: „Das bayerische Innenministerium und die Polizeiführung waren die Hauptverantwortlichen für die Eskalation der Gewalt.“

Wackersdorf

Drama
Freitag, 5.6. • 20.15 Uhr
bis 11.6. in der Mediathek.

Schuierers Biograf, der WAA-Aktivist Oskar ­Duschinger, nennt Wackersdorf „ein Musterbeispiel dafür, was in einer Demo­kratie nicht passieren darf“. Er war Augenzeuge, als Spezialkräfte der Polizei 1986 bei der sogenannten Pfingstschlacht Kanister mit Reizgas aus Helikop­tern über den Protes­tierenden auskippten und ­Trä­nengas in die Wasserwerfer mischten, die am ­Bauzaun eingesetzt wurden. In seinem Manuskript „Unbestechlich“ dokumentierte ­Duschinger die ­Aktionen. Drucken durfte er es allerdings nicht – die Veröffentlichung wurde wegen strittiger Passagen, in denen es um die Polizeieinsätze ging, gerichtlich untersagt.
Duschingers 2018 erschienenes Buch „Hans ­Schuierer – Symbolfigur des friedlichen Widerstandes gegen die WAA“ wurde indes ein ­Bestseller. Der Erfolg zeige, dass sich die Stimmung im Land signifikant verändert habe, meint der Autor. „In den 1980er Jahren galten Atomkraftgegner als Chaoten. Heute stehen sie in der Mitte der Gesellschaft –
ein Verdienst der rot-grünen Koalition, die im Jahr 2000 den Atomausstieg durchsetzte.“

Ein ungewöhnlicher Pakt
Dazu hat auch ­Schuierer seinen Teil beigetragen, sagt die Historikerin ­Janine ­Gaumer. „Er gehörte in den 1980er Jahren zu jenen SPD-Politikern, die sich entschieden gegen die Atomenergie aussprachen. Für die eher konservativ eingestellte Bevölkerung in der Oberpfalz war er zudem eine wichtige Integrationsfigur, denn er verstand es, vielen Bürgerinnen und Bürgern die Angst vor dem Protest zu nehmen.“
So formierten sich Umweltschützer, kirchliche Organisationen, Künstler, Bürgerinitiativen und Autonome zu einer gemeinsamen Front. Die Einwohner Wackersdorfs und der angrenzenden Gemeinden unterstützten die Atomkraftgegner und versorgten die Bewohner des Hüttendorfs im Taxöldener Forst mit Nahrungsmitteln.
Dennoch hielt der ungewöhnliche Pakt nicht lang: „Nach dem Baustopp fiel die Anti-Atom-­Bewegung in kollektiven Tiefschlaf“, sagt ­Gaumer, die in ihrem Buch „Wackersdorf – Atomkraft und Demokratie in der Bundes­republik 1980–1989“ das Gezerre um die ­Kernenergie analysiert hat. „Die Meiler blieben am Netz, die Brennstäbe gingen zur Aufbereitung ins französische La Hague. Und die späteren Blockaden der Castor-­Transporte wirkten im Vergleich zu Wackersdorf wie Sandkastenspiele. Zu Massenprotesten kam es erst wieder 2010/11 wegen der Laufzeitverlängerungen für Reaktoren und infolge der Katastrophe von Fukushima.“