Er war noch ein Kind, als er im Fernseh-Nachtprogramm der 1980er Jahre Werner Herzogs Film „Aguirre, der Zorn Gottes“ (1972) sah. Die authentischen Aufnahmen aus dem Urwald Perus und der Choleriker Klaus Kinski verstörten den jungen Thomas von Steinaecker. Wohl gerade deshalb blieb eine tiefsitzende Faszination. Etwa 30 Jahre später griff er den Film in seinem dokumentarischen Porträt „Werner Herzog: Radikaler Träumer“ wieder auf. Mit dem ARTE Magazin spricht Thomas von Steinaecker darüber, wie Herzog ihn sein Leben lang begleitet hat und warum die beiden Regisseure in erster Linie Schriftsteller sein wollen.
ARTE Magazin Herr von Steinaecker, als Sie beschlossen hatten, einen Film über Werner Herzog zu drehen, schickten Sie ihm zwei Ihrer Romane zu. Wie hat er darauf reagiert?
Thomas von Steinaecker Das Kennenlernen über meine Bücher stellte sich als Schlüssel für unser jetziges Verhältnis heraus – obwohl es nur eine Notlösung war. Aufgrund der Pandemie hatte ich nicht die Möglichkeit, nach Los Angeles zu fliegen, wo Werner lebt. Wir haben uns somit zuerst als Schriftsteller kennengelernt. Sein Reisetagebuch „Vom Gehen im Eis“ (1978) hat mich als Jugendlicher immens geprägt. Es war Werner nicht wichtig, ob ich ein erfahrener Regisseur bin, er wollte keinen meiner bisherigen Filme sehen. Es waren unsere literarischen Diskurse und meine Bücher, die ihn von mir überzeugten.
ARTE Magazin Nun ist Herzogs Schaffen – als Regisseur, Schriftsteller, Schauspieler – sehr umfangreich. Welche Perspektive seiner Karriere behandelt Ihr Porträt, das ARTE im November ausstrahlt?
Thomas von Steinaecker Seine Karriere, mit all ihren Unwahrscheinlichkeiten, wirkt wie ein Märchen – ein gefundenes Fressen für einen Erzähler wie mich. Ich möchte mit meinem Porträt eine Zwischenbilanz ziehen, bis in die heutige Zeit. Viele Menschen kennen nur seine älteren Klassiker wie „Nosferatu – Phantom der Nacht“ (1979) oder „Fitzcarraldo“ (1982). Danach ist Werner im deutschsprachigen Raum mehr oder weniger von der Bildfläche verschwunden. Ich habe ihn selbst erst Jahrzehnte später in einem DVD-Verleih in den USA wiederentdeckt – dort war er ein Star.
ARTE Magazin Wie kam es dazu?
Thomas von Steinaecker Das versucht auch der Film zu beantworten, aber ganz logisch kann man so etwas nie erklären. Es hat sicher damit zu tun, dass er dem Bild des Deutschen entspricht, das die Amerikaner haben: Er ist ein tiefsinniger, visionärer Einzelgänger. Das ist eine Figur, die, allein historisch bedingt, in Deutschland eher skeptisch betrachtet, aber in Amerika gefeiert wird. Hinzu kommt, dass Werner uramerikanische Themen behandelt. Sein wohl erfolgreichster Dokumentarfilm „Grizzly Man“ (2005) ist das beste Beispiel dafür.
ARTE Magazin War es herausfordernd, als Regisseur einen Film über einen anderen Regisseur zu machen?
Thomas von Steinaecker Da ich von Anfang an eine Verbindung zu Werner Herzog hatte, schenkte er mir auch sein Vertrauen und ließ mich machen. Ich hatte nie den Anspruch, auch so gewaltige Bildwelten zu erschaffen, wie er es tut, sondern wollte ein ganz intimes, emotionales Porträt abbilden. Einige meiner liebsten Szenen stammen von den Aufnahmen, die wir mit ihm in seinem bayerischen Heimatdorf gedreht haben – man spürt seine Nähe.
ARTE Magazin Es ist nicht Ihr erstes filmisches Porträt. Zuletzt veröffentlichten Sie eines von Otfried Preußler, das ebenfalls bei ARTE zu sehen ist. Haben Sie eine besondere Vorliebe für dieses Format?
Thomas von Steinaecker Es sind schon einige zusammengekommen. Bei einem Porträt begleitet man einen Menschen durch all seine Höhen und Tiefen, versucht ihn zu begreifen und zu entschlüsseln. Porträts sind vielleicht auch am ähnlichsten zu Romanen, deswegen fühle ich mich mit ihnen so wohl.
ARTE Magazin Sehen Sie sich also in erster Linie als Schriftsteller? Schließlich produzieren Sie neben Filmen und Romanen, zuletzt „Die Privilegierten“ (2023), auch Hörspiele, Graphic Novels, Sachbücher, Artikel und Rezensionen.
Thomas von Steinaecker Ich wollte schon mein Leben lang Schriftsteller werden, der Rest hat sich durch eine Verkettung von Zufällen ergeben. Meine Fähigkeit und Leidenschaft besteht darin, zu erzählen – und das ist letztendlich der Kern all meiner Tätigkeiten.
ARTE Magazin Werner Herzog sagte einmal, dass seine Bücher ihn länger überleben werden als seine Filme. Welchen Vorteil hat die Literatur gegenüber dem Kino?
Thomas von Steinaecker Bücher sind persönlicher und grenzenlos. Das Filmemachen lebt vom ständigen Kompromiss – was auch befruchtend sein kann. Aber die eigene Vision muss sich der Teamleistung, von der Kamera bis zum Schnitt, und dem Budget unterordnen. Beim Schreiben ist man frei. Die einzige Grenze, an die man dabei stößt, ist die der eigenen Fähigkeit – ich glaube, da würde Werner mir zustimmen.