Sein Aschram ist dicht bewachsen mit Farnen, Palmen und Laubbäumen. Irgendwo dazwischen stehen ein kapellenartiger Gebetstempel sowie steinerne Drachen- und Schlangen-Statuen in der Größe eines Kleinwagens. Hier kommt der Meister zur Ruhe. Allerdings nicht mit ausgefeilten Atemübungen und komplexen Verrenkungen, wie seine Schüler vermuten würden. „Wenn du klug bist, nimmst du dir eine Schaufel und gehst in den Garten. Der Geist wird ruhig und es gibt Sauerstoff fürs Gehirn. Gartenarbeit ist auch Yoga-Praxis. Yoga im Alltag“, sagt Ketut Arsana mit einer Mistgabel in der Hand.
Der auf Bali geborene Mann mit dem weißen Rauschebart und dem ausdefinierten Körper, der einem sportlichen 20-Jährigen gehören könnte, zählt seit den 1980er Jahren zu den Wegbereitern der Yoga-Bewegung auf seiner Heimatinsel. Und er erinnert stark an den Guru aus der Bestsellerverfilmung „Eat Pray Love“ (2010) mit Superstar Julia Roberts, die Bali nachhaltig verändert und die Insel endgültig zu einem Mekka für Sinnsucher und Yogis aus der ganzen Welt gemacht hat. Dabei ist Ketut Arsana nicht nur Yoga-Lehrer, sondern nach alter Familientradition auch schamanischer Heiler.
Hat er kein gutes Gefühl bei seinem Gegenüber, lehnt er eine Behandlung ab. Bei unserer ersten Begegnung in einem Café nahe seines Aschrams, eines Meditationszentrums nach hinduistischem Vorbild, begrüßt er mich nicht etwa mit einem „Hallo“, sondern mit den Worten: „Du hast ein großes Lächeln.“ Wie mir später erklärt wird, war das der Moment, in dem er den Dreharbeiten zugestimmt hat. Zum Glück, muss man sagen. Schließlich sind wir mit einem mehrköpfigen Kamerateam um die halbe Welt gereist, haben monatelang zum Thema „Yoga auf Bali“ recherchiert und uns auf die Dreharbeiten vorbereitet.
Als er von seiner Arbeit erzählt, lächelt der Guru und spricht mit überschäumender Energie. Immer wieder wird er jedoch unterbrochen – von westlichen Touristen, die an unseren Tisch kommen und um Heilung bitten. Er steht dann kurz auf, renkt den einen oder anderen schmerzenden Rücken ein und gibt den Leuten Weisheiten mit auf den Weg: „Hör auf zu meckern! Meckern ist Energieverschwendung.“ Auch für unseren Film hat er eine interessante These. Er sagt: „Wenn Indien der Baum des Yoga ist, dann ist Bali die Frucht. Und was isst man wohl lieber?“
Das Früchtchen Bali hat auf alle Fälle eine Sonderstellung innerhalb Indonesiens, denn es ist die einzige Insel, die hauptsächlich hinduistisch geprägt ist. Dadurch ergibt sich auf vielen Ebenen eine gute Ausgangslage für die ursprünglich aus Indien stammende Philosophie. Spirituelle Riten und Gebräuche sind durch die tief verwurzelte Religion überall auf der Insel spürbar und erlebbar. Zwar ist Yoga keine Religion oder Glaubensrichtung, sondern ein körperliches und spirituelles Übungssystem, aber es geht eben auch um die Beziehung des Einzelnen zu einer höheren Wesenheit.
An hippen Küstenorten wie Canggu, wo sich Surfer und Backpacker drängen, gibt es inzwischen auch immer mehr Angebote für die junge Generation der Yoga-Schüler. Deren beliebtester Lehrmeister und ebenfalls Protagonist unserer Dokumentation ist Diaz Chairulla. Der 44-jährige Balinese hat vor wenigen Jahren ein hektisches Leben als Werber und Model hinter sich gelassen, um Yoga-Lehrer zu werden. Wilde Partys und Alkohol hat er ersetzt durch Achtsamkeit und disziplinierte Übungen. Während der Großteil seiner Schüler aus dem westlichen Ausland kommt, zählt Chairulla zu den wenigen einheimischen Lehrern auf Bali. Die meisten finanziell erfolgreichen Yoga-Lehrer der Insel sind Ausländer, die die Kulisse Balis geschickt für sich zu nutzen wissen. Auch das alljährliche BaliSpirit Festival – eines der größten Yoga-Treffen der Welt, das als Reaktion auf den Terroranschlag in Bali im Jahr 2002 gegründet wurde – wird hauptsächlich von internationalen Gästen geprägt. 5.000 Yogis aus aller Welt reisen dafür an, um im Nirgendwo zwischen Reisfeldern zu yogieren, meditieren, chanten und um veganes Superfood zu essen. Yoga all inclusive.
Guru Ketut Arsana unterrichtet dort ebenfalls. Am Rande des Festivals frage ich: „Was ist denn nun der Bali-Spirit, den die vielen Schüler aus dem Westen suchen?“ Er antwortet: „Hör auf, immer verstehen zu wollen! Fühle mit dem Herzen und mache Yoga. Denn Yoga ist Liebe.“