»Es geht nicht um Revolution«

In Deutschland und anderen EU-Ländern gehen Landwirte auf die Straße. Sie fühlen sich gegängelt und teils existenziell bedroht. Wie vertragen sich ihre Forderungen mit dem Umwelt- und Klimaschutz?

Strohballen mit aufgespießten Gummistiefeln
Stiller Protest: Wie einst der Bundschuh sind heute Gummistiefel Symbol ­bäuerlicher Opposition. Foto: picture alliance / Countrypixel

Es rumort in der Bauernschaft: Mit Traktoren-­Demos und Straßenblockaden geht es hierzulande vordergründig gegen den Abbau von Steuervergünstigungen. In Nachbarländern richtet sich die Empörung gegen landwirtschaftliche Billigimporte, Umweltauflagen und Bürokratie. Zielscheibe ist neben nationalen Regierungen immer wieder auch „Brüssel“ – die EU-Agrarpolitik. Dabei profitieren bäuerliche Betriebe massiv von europäischen Subventionen, in die fast jeder dritte Euro aus dem EU-Haushalt fließt. Und Reformen für mehr Umwelt-, Klimaschutz und Tierwohl seien unumgänglich, sagt der Rostocker Agrarwissenschaftler ­Sebastian ­Lakner – erst recht in einem reichen Land wie Deutschland.

ARTE Magazin Herr Lakner, die jüngsten Bauernproteste wirkten fast wie aus dem Stand organisiert. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Sebastian Lakner Ich beobachte schon länger eine Menge Frust und Unzufriedenheit in der Landwirtschaft, bereits 2019 gab es viele Proteste. Die aktuelle Mobilisierung lässt sich vielleicht auch damit erklären, dass Landwirte und Landwirtinnen über den Winter Zeit haben, insofern hat die Bundesregierung für ihre Agrardiesel-­Entscheidung einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt gewählt.

Pflügen, ackern, kämpfen: Die Geschichte der Bauern

4-tlg. Dokureihe

Dienstag, 23.4.
— ab 21.30 Uhr
bis 28.8. in der
Mediathek

 

ARTE Magazin In der aktuellen Debatte wird, auch mit Hinweis auf globale Großkrisen, vor Überforderung der Landwirtschaft durch strengere Umweltauflagen gewarnt. Berechtigt?

Sebastian Lakner Stabiles Klima, sauberes Wasser und intakte Landschaft sind kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Es gibt objektive, wissenschaftlich belegte Probleme, die über das Offenland hinaus etwa auf Nord- und Ostsee wirken. Diese Probleme müssen Landwirtschaft und Gesellschaft gemeinsam lösen. Funktionierende Agrarökosysteme sind für zukünftige Ertragssicherheit wichtig, deshalb sollte auch die Landwirtschaft daran ein Interesse haben. Diskutieren kann man, wie Förderprogramme ausgestaltet sind, manche sind sicher zu bürokratisch und kompliziert.

ARTE Magazin Sind es denn die Interessen der gesamten Landwirtschaft, für die auf die Straße gegangen wird?

Sebastian Lakner Die Interessen sind nicht einheitlich. Wir sehen innerhalb der Landwirtschaft drei große Gruppen: ein konservatives Milieu, ein marktliberal-wettbewerbsorientiertes und ein nachhaltigkeits- und umweltaffines. Dies zeigen eine Umfrage von uns zur Offenheit gegenüber Reformen von 2021, aber auch andere Studien. Die Betriebe gehen unterschiedlich mit Reformen und Herausforderungen um, die auf uns zukommen.

ARTE Magazin Und wer dominiert bei den Protesten?

Sebastian Lakner Der Hauptteil kommt vermutlich aus dem konservativen Lager, das gegenüber gesellschaftlichen Anliegen nicht so aufgeschlossen ist. Bei den Marktliberalen sind viele skeptisch, lassen sich aber vielleicht eher überzeugen. Diejenigen aus dem umweltaffinen Milieu haben vielleicht bei „Wir haben es satt“ für eine ökologischere Landwirtschaft mitdemonstriert, sind aber auch nicht mit allem zufrieden. Keine einfache Situation, weil man mit unterschiedlichen Maßnahmen einzelne Milieus gegen sich aufbringt.

ARTE Magazin Wie sinnvoll wird heute gefördert?

Sebastian Lakner Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Frage entscheidend, ob und wie wir mit Subventionen gesellschaftlichen Mehrwert erreichen – also mehr Klimaschutz, Tierwohl, mehr saubere Gewässer, mehr Schutz der Artenvielfalt und Landschaften.

ARTE Magazin Was kann die Wissenschaft leisten?

Sebastian Lakner Als Wissenschaftler können wir ein Transmissionsriemen sein zwischen Politikern und Praktikern. Anders als oft kolportiert, verfolgen wir dabei keine eigene Agenda. Die Entscheidungen trifft am Ende die Politik, da sind wir als Wissenschaft raus.

ARTE Magazin Und was raten Sie der Politik? 

Sebastian Lakner Die Politik kann solche Reformen nur mit einem positiven Leitbild umsetzen. Wissenschaftliche Empfehlungen müssen für die Praxis übersetzt werden. ­Renate ­Künast hat als Ministerin Landwirte 2004 als „die Ölscheichs von morgen“ bezeichnet, wenn sie Bioenergie erzeugen. Dieses Bild hat damals positiv im Berufsstand gewirkt. Mir fehlen im Moment die Politiker und Politikerinnen, die mutig sind und mit solchen Zukunftsbildern den Berufsstand mitnehmen und begeistern.

ARTE Magazin Warum gelingt das gerade nicht?

Sebastian Lakner Wir unterschätzen in Deutschland häufig unser Potenzial. Wir sind die drittgrößte Volkswirtschaft und können den Beweis erbringen, dass man die Landwirtschaft in einen nachhaltigen Sektor transformieren kann. Und wenn wir das als reiche Gesellschaft nicht schaffen, wie soll das anderen Ländern gelingen? Es geht dabei nicht um eine Revolution, sondern darum, notwendige Reformen Schritt für Schritt gemeinsam umzusetzen.

ARTE Magazin Stimmt Sie etwas optimistisch?

Sebastian Lakner Die deutsche Landwirtschaft muss sich nicht verstecken. Wenn ich auf manche Betriebe komme, sehe ich gut ausgebildete und motivierte Landwirte und Landwirtinnen, die sich auf die Zukunft eingestellt haben und mit moderner Technik arbeiten. Etliche in der Praxis tun bereits viel für die Umwelt und erzielen dabei gute Erträge. Wenn wir die großen Herausforderungen im Bereich Umwelt und Markt optimistisch anpacken, ist sehr viel möglich.

 

Zur Person: Sebastian Lakner, Agrarökonom

Als Berater für Politik und Praktiker aus der Landwirtschaft ist der Professor an der Universität Rostock gefragt. -Lakner forscht seit Langem zum Ökolandbau und zur Gemein-samen Agrarpolitik der EU.