Am Tropf der Superreichen

Gemeinnützige Stiftungen von vermögenden Philanthropen stehen unter Druck. Kritiker fordern höhere Steuern, um deren Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu mindern.

Superreiche, Geld
Illustration: Klawe Rzeczy

Anfang Mai herrschte für kurze Zeit Panik im US-Bundesstaat Washington. Bildungsinstitute bangten um ihre Budgets, Kulturorganisationen befürchteten den Verlust von Fördergeldern, Sozialhilfeprojekte sahen ihren Fortbestand gefährdet. Grund zur Sorge bereitete ihnen allen ein ganz banaler Vorgang: die Scheidung von Bill und ­Melinda Gates.

Seit gut 20 Jahren fördert die in Seattle ansässige Stiftung der vermögenden Eheleute Dutzende gemeinnützige Organisationen in Washington State – jährlich mit 300 Millionen US-Dollar. Würde sich das nun ändern? Und: Könnte der Staat einspringen, falls die Bill & ­Melinda ­Gates Founda­tion den Geldhahn zudrehte? Eine Sprecherin der Stiftung, die über Einlagen von mehr als 50 Milliarden US-Dollar verfügt und weltweit rund 1.200 Organisationen unterstützt, zerstreute die Bedenken zwar rasch und versprach, dass sich die Förderpolitik nicht ändern werde – selbst wenn Melinda Gates die Stiftung verlasse. „Das Beispiel zeigt aber deutlich, wie abhängig der gemeinnützige Sektor inzwischen von den Superreichen ist“, sagt ­David ­Callahan, Gründer des Informationsdienstes Inside Philanthropy.

Ein Grund für die Entwicklung: Immer mehr Wohlhabende verschreiben sich der Philanthropie; viele wüssten sonst gar nicht, wohin mit dem Geld. Denn das Vermögen der reichsten US-Bürger ist in den vergangenen Jahren rasant gewachsen – zum einen wegen der anhaltenden Wertsteigerung ihrer Aktien, zum anderen wegen der laxen Steuergesetze. Microsoft-Gründer Bill Gates (Vermögen: 126 Milliarden Dollar), Amazon-­Boss Jeff ­Bezos (197 Milliarden), Tesla-­Chef ­Elon Musk (153 Milliarden) und Investment-­Guru ­Warren ­Buffet (106 Milliarden) sowie die rund 720 anderen US-Milliardäre profitieren davon, dass mit Aktien erzielte Kapitalgewinne dort nicht als Einkommen gelten. Zudem nehmen sie steuermindernd hohe Kredite auf, die sie mit Aktien absichern – alles ganz legal.

Milliardäre – Zwischen Wohltätigkeit und Profit

Gesellschaftsdoku

Mittwoch, 18.8. — 00.15 Uhr
bis 13.2.2022 in der Mediathek

Gönnerhafte Gesten
„Das US-Steuersystem ist sozial ungerecht und fordert Wohlhabende förmlich auf, seine Schwächen auszunutzen“, sagt ­Anand ­Giridharadas. In seinem Buch „Winners Take All“ (2018) seziert der New Yorker Autor und Politologe die Steuergesetze und entlarvt das „parasitäre Gebaren“ vieler Philanthropen. Die gönnerhaften Gesten der Superreichen, die Bildung und Sozialwesen, Kultur und Wissenschaft mit Abermilliarden fördern, dienten demnach vor allem einem Zweck: der Mehrung des Reichtums. ­Gates­, ­Bezos und Co. gelinge es auf erstaunliche Weise, „ihr Kapital zu vervielfachen und zugleich Unsummen in imagewirksame Stiftungen zu stecken“, resümiert ­Giridharadas.

Sein Vorschlag: Die jüngst vom Bundesstaat New York eingeführte Vermögenssteuer müsse überall im Land erhoben werden. „Wenn die Superreichen ihre Gewinne höher versteuerten, wären die öffentlichen Kassen viel besser gefüllt, und über die Verwendung der Gelder würden demokratische Gremien entscheiden, keine Einzelpersonen.“ Ob es so weit kommt, ist fraglich. Bislang plant US-Präsident Joe ­Biden lediglich eine moderate Kapitalertragssteuer.

Derweil gelten Amerikas superreiche Wohltätige als Vorbilder für Milliardäre in aller Welt. Längst hat die Klientel ihre eigene Service-Branche, die global aufgestellt ist: von der Fundraising-Agentur, die potente Geber ins Visier nimmt, über spezielle Banksparten, die ihren Kunden – den sogenannten Ultra High Net Worth Individuals – Tipps für Investitionen mit Charity-Appeal geben, bis hin zu luxuriösen Philanthropie-­Events. Kurzum: Das Geschäft brummt, und die Superreichen werden überall hofiert, wie Regisseur Jean-Luc Léon in der ARTE-Dokumentation „Milliardäre – Zwischen Wohltätigkeit und Profit“ anschaulich belegt.

Dabei schade die „moderne Form des Ablasshandels“ mehr, als sie nutzt, warnt der Kölner Politologe ­Christoph ­Butterwegge: „Philanthropie ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, aber die Gesellschaft darf es nicht den Superreichen überlassen, wohin sie sich entwickelt. Andernfalls steuern wir auf eine Almosenökonomie zu, in der die Wohlhabenden bestimmen, wer oder was finanziell gefördert wird“, so ­Butterwegge im Gespräch mit dem ­ARTE Magazin. Mit den Werten eines Sozialstaats sei ein feudales System dieser Art nicht vereinbar. „Falls sich der sogenannte Philanthrokapitalismus weiter ausbreitet, droht die Demokratie schweren Schaden zu nehmen.“

Einige Vermögende schenken den Einwänden der Kritiker inzwischen Gehör. Für die österreichische Millionärserbin ­Marlene ­Engelhorn etwa, die 90 Prozent ihres Reichtums gleichwohl für karitative Zwecke spenden will, ist klar: „In einer Demokratie darf meine Stimme nicht mehr wert sein als die einer anderen Person, nur weil ich mir den Einfluss auf die Politik und die Wirtschaft finanziell leisten könnte“, sagte sie jüngst in einem ORF-Interview. Sie unterstütze daher die Ziele der Gruppe Millionaires for Humanity (MFH), die sich 2020 anlässlich des EU-Gipfels in einem offenen Brief für eine höhere Besteuerung der Superreichen ausgesprochen hatte.

„Das ist keine Nebelkerze wie manch anderes Engagement angeblicher Philanthropen, die letztlich nur Steuern sparen wollen“, urteilt ­Butterwegge. „Offenbar haben die MFH-Initiatoren erkannt, dass ihr Kapital besser und sozial gerechter wirken kann, wenn es in Form von Steuern der Allgemeinheit zur Verfügung steht.“ Das sei eine späte, aber willkommene Dankesgeste an jene, die den Reichtum der Wohlhabenden ermöglicht haben – „und zugleich ein klares Signal für die Politik“.

Sozialstaat und Almosenökonomie sind nicht vereinbar

Christoph Butterwegge, Politologe