Dreitagebart, das rechte Auge leicht entzündet, das linke über dem Tränensack verkrustet, durch Blut oder Dreck, egal. Die Haare verschwitzt, der Blick müde oder vielmehr herausfordernd erschöpft. Seht her! So schaut ein Bezwinger aus. Von Bergen, Wüsten, Eismeeren, Vulkanen, Meteoriteneinschlägen, urzeitlichen Höhlen und vielleicht auch der globalen Filmwelt. Werner Herzog hat als Autodidakt immer gemacht, was er wollte, sich mit seinen filmischen Werken durchgesetzt gegen Produzenten, Redakteure, Aufnahmeleiter und Schauspielstars wie Klaus Kinski. Dem Herzog Werner (so spricht man den Namen in seiner Heimat Oberbayern) kann keiner was anhaben!
Als abgekämpfter, aber erfolgreicher Weltenretter prangt er auf dem Cover seiner soeben erschienenen Autobiografie „Werner Herzog – Jeder für sich und Gott gegen alle. Erinnerungen“. Im Hitzeschutzanzug, mit einer Hand einen Helm gegen den Körper gedrückt. Die Aufnahme entstand 2016, als der Regisseur den Dokumentarfilm „Into the Inferno“ drehte. Darin erforscht er mit dem Vulkanologen Clive Oppenheimer aktive Vulkane und spürt Menschen nach, die in ihrer Nähe leben. Mit seiner dramatisch raunenden Stimme erzählt Herzog aus dem Off am liebsten vom imaginären Weltenende: „Dem Himmel entgegen steigen die Flammen der mächtigen Götter. Der Untergang naht.“
Bei Werner Herzog ist die Sprache immer großes Kino. Es gibt kein Entkommen – und der letzte Überlebende jener filmischen Exkursionen wird dieser furchtlose Regisseur sein, aufgewachsen in einem abgelegenen Gebirgstal im Dorf Sachrang, 25 Kilometer südlich des Chiemsees. Es ist eine archaische, bäuerliche Welt, in die Herzog, geboren 1942, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hineingeworfen wird. Seine Mutter flüchtet mit ihm und seinem Bruder Till aus dem zerbombten München in die Einsamkeit. Die Zeit bis in die 1950er Jahre hinein ist für den Jungen prägend, konfrontiert ihn mit ländlicher Kargheit, Armut und Überlebenskämpfen in der Natur. Bis zu seinem elften Lebensjahr kennt Herzog kein Telefon und schon gar keinen Film. Weil er erst so spät erfahren habe, was das Kino sei, habe er es erfinden müssen, wird er einmal erzählen. Oft weiß man nicht, ob Herzog das, was er sagt, glaubt – oder mit leidenschaftlicher Überhöhung die eigene Einzigartigkeit beweisen will.
Beim Herzog Werner ist die Sprache immer großes Kino
Diese Einzigartigkeit, seine Ausnahmestellung im deutschen Kino der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist unbestritten. Rund 70 Filme hat Werner Herzog in 60 Jahren gedreht, darunter Werke, die zum Kanon des Weltkinos gehören: In der Kaspar-Hauser-Geschichte „Jeder für sich und Gott gegen alle“ (1974) hinterfragt Laiendarsteller Bruno S. den Prozess der Zivilisation als Gratwanderung zwischen Aufklärung und Identitätsverlust. Und in „Fitzcarraldo“ (1982) lässt Klaus Kinski als Bezwinger des Dschungels einen Dampfer über einen Berg ziehen. Herzog drehte preisgekrönte Dokumentarfilme über Grizzlys und über Menschen in der Antarktis. Über deutsche Kampfpiloten im Vietnamkrieg („Flucht aus Laos“, 1997) und eine Frau, die mit dem Flugzeug im Urwald abstürzte („Julianes Sturz in den Dschungel“, 2000). In seinen Dokumentarfilmen erlaubt sich Herzog gern Freiheiten. Stets spielen für ihn die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie eine untergeordnete Rolle. Für diesen künstlerischen Umgang mit Fakten kreierte er den Begriff der „ekstatischen Wahrheit“.
Angesichts der filmischen Schaffenskraft überraschte Herzog einmal mit seiner Prophezeiung, er werde nicht als Filmemacher den Ruhm der Nachwelt erlangen, sondern als Schriftsteller. Im Laufe der Pandemie stellte er dann nicht nur zwei Filme fertig, sondern auch zwei Bücher. Neben seiner Autobiografie erschien die Erzählung „Das Dämmern der Welt“ über Hirō Onoda, einen japanischen Geheimdienstoffizier, der sich 1944 auf einer philippinischen Insel im Dschungel versteckte und erst 1974 wiederauftauchte – nicht ahnend, dass der Zweite Weltkrieg längst zu Ende war. Herzog ist fasziniert von diesem Menschen und dessen Unerschütterlichkeit, jener Unbeugsamkeit, die auch so viele seiner Filmfiguren prägt. Da blitzt der Geist von Sachrang auf, diese Mischung aus Weltferne und Un-beirrbarkeit. Den Herzog Werner beseelt sie bis heute.
Der Autor
Moritz Holfelder, Journalist
Seit 1985 arbeitet Moritz Holfelder, 1958 geboren, als Kulturjournalist sowie Architektur- und Filmkritiker. Er schrieb diverse kulturgeschichtliche Bücher, darunter „Werner Herzog: Die Biografie“ (2012).