Der Sonne ganz nah

WELTRAUMWETTER Auf der Sonne brodelt es mächtig, doch die Forschung weiß noch wenig über ihre Aktivitäten. Eine ARTE-Doku beleuchtet die Gefahr, die von dortigen Eruptionen ausgeht.

Grafik: NASA/Johns Hopkins APL/Steve Gribben

Blackout in Europa. Kein Strom, kein GPS, keine Züge, keine funktionierenden Tankstellen, binnen Tagen lahmgelegte Fabriken und Krankenhäuser. So fortschrittlich wir uns durch die Digitalisierung heute fühlen, so anfällig ist unsere vollvernetzte Welt für Störungen von außen. Aus dem All etwa – wenn Eruptionen auf der Sonne zu sogenannten Sonnenstürmen führen, die so heftig sind, dass sie das Magnetfeld der Erde und so Stromversorgung und Satellitenempfang empfindlich stören. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist zwar gering, doch: „Ein sehr starker Sonnensturm käme einer Katastrophe gleich und könnte Wirtschaft und Versorgung über Monate auf globaler Ebene treffen“, schätzt ­Stefan Kraft von der Europäischen Weltraumorganisation ESA.
Der Darmstädter Physiker ist Studienleiter der Lagrange-Mission der ESA, einem Pilotprojekt zur Weltraumwetter­vorhersage, das 2027 starten soll: An einem bestimmten Punkt im All wird ein Satellit die Sonne beobachten, deren Aktivität vermessen und so Sonnenstürme vorhersagen. „Derzeit kann man das Weltraumwetter nur einige Stunden voraussagen. Wir arbeiten daran, diese Vorhersage auf mehrere Tage auszuweiten“, so Kraft. Damit könne man auf der Erde reagieren, indem man etwa Satelliten rechtzeitig in einen Wartemodus versetzt, Flugzeuge am Boden ließe oder Elektrizitätsversorger warnt.
Aber was sind Sonnenstürme eigentlich? Die Sonne, ein Stern aus heißen Gasen, ist vergleichbar mit einem riesigen Reaktor, in dem es bei etwa 15 Millionen Grad permanent zu Kernfusionen kommt. Dabei wird Energie freigesetzt; die Sonne stößt also ständig geladene Teilchen aus, den sogenannten Sonnenwind. Trifft dieser auf das Magnetfeld der Erde, entstehen Polarlichter an den Polen. Bei einem Sonnensturm wiederum kommt es zum massiven Ausstoß geladener Teilchen, die mit mehr als 1.000 Kilometern pro Sekunde die Erde nach Stunden erreichen können. Eine solche von der Sonne abgegebene Plasmawolke kann das Erdmagnetfeld verformen und dort elektrische Ströme auf der Erde erzeugen. „Durch unsere Beobachtungen kann man ablesen, ob die Erde betroffen ist“, sagt Kraft. „Sonnenstürme entstehen regelmäßig, aber nicht alle treffen die Erde, Gott sei Dank.“

So nah wie keine Sonde je zuvor
Der bisher größte dokumentierte Sonnensturm ist auf 1859 datiert: Damals sichtete man auf Kuba und Honolulu Polarlichter, Telegrafenleitungen brannten flächendeckend durch, das Erdmagnetfeld war für einen Tag komplett gestört. Die Schäden waren groß, doch nichts im Vergleich zu dem, was ein Sturm in der technisierten Welt von heute anrichten würde.
Um die Sonne umfangreich zu erforschen, versuchen Experten, ihr möglichst nahe zu kommen – keine leichte Aufgabe bei mehreren Tausend Grad an ihrer Oberfläche und noch höheren Temperaturen in der sie umgebenden Atmosphäre, der Sonnenkorona. Die NASA-Sonde „Parker Solar Probe“ stellt sich der Herausforderung und startete 2018 ihren Flug ins All. 24 Mal wird sie die Sonne umkreisen, mit bis zu 700.000 Stundenkilometern. Der Hitzeschild aus Kohlenstoffverbindungen ist gut elf Zentimeter dick. So hält die Sonde extremen Temperaturen stand und kommt zwischen 2024 und 2025 auf bis zu sechs Millionen Kilometer an die Sonne heran. Zum Vergleich: Der Abstand zwischen Sonne und Erde beträgt etwa 150 Millionen Kilometer.
Der Astrophysiker ­Volker ­Bothmer von der Universität Göttingen, der in der ARTE-Doku „Sonnenstürme“ zu Wort kommt, ist von deutscher Seite an der Mission beteiligt. Er kennt den US-amerikanischen Astro­physiker ­Eugene N. ­Parker persönlich, der 1959 den Begriff „Sonnenwind“ einführte und nach dem die Sonde benannt wurde. „Mit der ­,Parker Solar Probe‘ wollen wir Sonnen­winde und -­stürme verstehen und herausfinden, warum die Sonnenkorona viel heißer ist als die Sonnenoberfläche“, erläutert ­Bothmer dem ARTE Magazin.
Zwar beobachten auch andere Satelliten die Sonne. Doch die „Parker Solar Probe“ soll ihr so nah kommen wie keine Sonde zuvor. „Wir sind besonders gespannt auf die Beobachtungen unserer Kamera bei den ersten direkten Durchflügen durch die Korona, das heißt beim ersten Besuch der Menschheit in der Atmosphäre eines Sterns“, so ­Bothmer. „Bisher haben wir entdeckt, dass die Sonnenwinde viel turbulenter sind als angenommen und dass ständig auch klein­skalige Sonnenstürme stattfinden, die wir von der Erde nicht beobachten konnten.“
Was Wissenschaftler hingegen schon seit Jahrhunderten wissen, ist, dass die Sonne durchschnittlich alle elf Jahre eine erhöhte Aktivität zeigt. Das nächste Aktivitätsmaximum liegt zwischen 2023 bis 2025. „Das ist genau die Zeit, in der unsere Sonde die Korona direkt durchfliegen wird“, sagt ­Bothmer. „So erhalten wir erstmals Messungen aus den Zentren der Stürme während ihrer Entstehung.“

Sonnenstürme – Die rätselhafte Gefahr

Wissenschaftsdoku
Samstag, 8.8. • 21.45 Uhr
bis 5.11. in der Mediathek.