Für manche klingt es wie ein Horrorszenario: In nicht allzu ferner Zukunft könnte Bargeld, wie wir es bislang nutzen, durch digitale Zahlungsmittel ersetzt werden und nur noch musealen Wert haben. Die laut Statistischem Bundesamt knapp 29 Milliarden von der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgegebenen Euro-Geldscheine würden dann eingezogen und geschreddert.
Befeuert wird die Digitalisierung des Geldes vor allem von den Befürwortern sogenannter Kryptowährungen wie Bitcoin. Viele von ihnen haben das Vertrauen in Banken und Finanzdienstleister verloren. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young halten nur noch 25 Prozent der Deutschen traditionelle Geldhäuser für vertrauenswürdig. Immerhin rund acht Millionen Bundesbürgerinnen und -bürger besitzen bereits Kryptogeld – Tendenz: steigend.
Ein Vorteil von Bitcoin und seinen inzwischen Dutzenden Nachahmern ist die dezentrale, verschlüsselte Aufzeichnung aller Transaktionen in der sogenannten Blockchain, dem Kernstück aller Kryptowährungen. Transaktionen werden dabei in Echtzeit automatisiert überprüft, um sicherzustellen, dass Beträge vom rechtmäßigen Eigentümer autorisiert und nicht doppelt gebucht wurden. Dieser Vorgang wiederholt sich kontinuierlich, wodurch eine Kette von Datenblöcken entsteht, die alle bisher erfolgten Transaktionen enthält. Das bietet Transparenz und Sicherheit: Manipulierte oder irreguläre Datensätze würden alle nachfolgenden Blöcke verändern und sofort erkannt.
Kryptowährungen sollen viele Finanzgeschäfte zudem schneller und billiger machen, da sie ohne Geldinstitute oder andere Vermittler ablaufen. Ein weiterer Pluspunkt: Menschen, die bislang – ganz gleich, aus welchem Grund – keinen Zugang zum klassischen Bankensystem haben, erlangen mithilfe digitaler Währungen mehr finanzielle Freiheit, was sich in Ländern des globalen Südens bereits beobachten lässt. In Nigeria etwa besitzt fast die Hälfte der Bevölkerung Kryptogeld. Und in El Salvador habe die Einführung von Bitcoin als Zahlungsmittel sogar bewirkt, dass die Finanzkriminalität zurückgehe, berichtet der Sozialarbeiter Jorge Valenzuela in der ARTE-Doku „Kryptowährungen – Wie gefährlich ist das neue Geld?“.
Ob Bargeld tatsächlich irgendwann durch digitale Coins ersetzt wird, hänge nicht nur davon ab, wie sicher Kryptowährungen sind und welche Vorzüge sie bieten. Entscheidend sei vielmehr ein „Wandel in den Köpfen“, sagt Ijoma Mangold. In seinem Buch „Die orange Pille – Warum Bitcoin weit mehr als nur ein neues Geld ist“ hat der Zeit-Kulturkorrespondent untersucht, welche politischen und gesellschaftlichen Kräfte die Zukunftschancen der Kryptomünzen bestimmen. Sein Fazit: „Eine politische Bewegung radikaler Dezentralität wie Bitcoin ist aus Sicht vieler konservativer Finanzfachleute ein natürlicher Feind“, so Mangold im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Denn bislang gelte im globalen Finanzsystem die Devise, dass Zentralbanken und damit die Politik über die kursierende Geldmenge, den Leitzins und weitere Säulen der Finanzsystems entscheiden. „Allerdings frage ich mich“, sagt Mangold, „ob es nicht besser wäre, Staat und Geld künftig strikt voneinander zu trennen – analog zur Säkularisierung, also der Trennung von Staat und Kirche, die in demokratischen Ländern längst üblich ist.“
MILLIARDENVERRLUST NACH BÖRSENKOLLAPS
Zentralbanken und Börsenaufsichten haben den drohenden Kontrollverlust erkannt und stemmen sich mit Macht dagegen. So warnte kürzlich John Reed Stark, einstiger Chef der Kryptosparte bei der US-Börsenaufsicht SEC, in einem Tweet, Anleger sollten „sofort alle Kryptobörsen verlassen“, da sie nicht sicher seien. Viele dieser Handelsplätze, darunter Marktführer Binance, würden die infolge der verschärften staatlichen Regulierung anstehenden Betriebsprüfungen nicht bestehen und müssten womöglich schließen, so Stark. Die Folge wäre ein Verlust der Guthaben wie zuletzt beim Kollaps der Kryptobörse FTX im November 2022. Schätzungsweise zwei Milliarden US-Dollar lösten sich bei der spektakulären Pleite in Luft auf; die Kurse von Bitcoin und anderen Kryptowerten brachen empfindlich ein.
Seitdem haben es die digitalen Handelsplätze auch in Europa schwer: Binance musste jüngst den Betrieb in den Niederlanden einstellen, und in Frankreich droht der Firma eine Untersuchung wegen des Verdachts auf Geldwäsche.