Ahoi, Piratinnen!

Von wegen Männerjob: Im Goldenen Zeitalter der Piraterie gingen auch Frauen auf Kaperfahrt auf den Weltmeeren. Waren sie tatsächlich die emanzipierten Freiheitskämpferinnen, als die sie heute oft dargestellt werden?

Illustration von Piratin
Illustration: Philip Harris für ARTE Magazin

Das Goldene Zeitalter der Piraterie

Wirtschaftliche Spannungen, Unruhen und eine instabile koloniale Verwaltung prägten die Jahre zwischen 1690 und 1730 in der Karibik. Konflikte wie der Englisch-Spanische Krieg (1625–1630) und der Krieg der Quadrupelallianz (1717–1720) führten dazu, dass Tausende Freibeuter, die zuvor im Dienst der Kolonialmächte feindliche Schiffe geraubt und geplündert hatten, plötzlich ohne Einkommen dastanden. Viele von ihnen gingen eigenständig auf Beutezug und wurden Piraten – unter ihnen auch Frauen, etwa die Irin -Anne -Bonny und die Engländerin -Mary Read, die zu den wenigen Piratinnen des 17. und 18. Jahrhunderts zählen, die der Nachwelt bekannt sind. In Comics und Büchern werden sie teils als edle Freiheitskämpferinnen verklärt. Dabei sind ihre Biografien nur lückenhaft überliefert und voller Widersprüche: Beide brachen mit Geschlechterrollen und waren bekannt für ihre Brutalität. Das sogenannte Goldene Zeitalter der Piraterie war eben vor allem eine Ära der blutigen Raubzüge aus Eigennutz.

Die Piratinnen: Ein Leben in Freiheit

Dokumentarfilm

Samstag, 18.1.
— 20.15 Uhr
bis 17.4. in der
Mediathek

Illustration einer Schatzkiste
Illustration: Philip Harris für ARTE Magazin

Bürokratie an Bord

Die Piratinnen und Piraten des 17. und 18. Jahrhunderts waren oftmals nicht nur Kriminelle, sondern auch Geschäftsleute: Ihr Schiff war das Betriebskapital, die Beute der Gewinn. Auch die Verteilung des Diebesguts sowie die Entschädigung Verletzter waren zumeist vertraglich geregelt. Anders als in Legenden beschrieben, wurde die Beute nur selten vergraben. Stattdessen wurden Gold, Silber und Edelsteine, aber auch Gewürze, Waffen oder Medikamente verkauft, der Erlös verprasst oder in die nächste Fahrt investiert. Um die oftmals bunt zusammengewürfelten Crews aus Fischern, ehemaligen Sklaven, verwaisten Jugendlichen und Banditen zusammenzuhalten, gab es ebenfalls vertraglich festgehaltene Disziplinarmaßnahmen. Als besonders rigoros galt etwa der Verhaltenskodex der chinesischen Piratin Zheng -Yisao zu Anfang des 19. Jahrhunderts: Desertion wurde mit Verstümmelung, Unterschlagung von Beute mit Auspeitschen und Befehlsverweigerung oder Diebstahl mit dem Tod bestraft. Wer an Bord Gewalt gegen geraubte Frauen anwendete, wurde geköpft.

Illustration einer Piratin mit angeklebtem Bart
Illustration: Philip Harris für ARTE Magazin

Emanzipation auf hoher See

In einer Zeit, in der die Seefahrt fast ausschließlich Männern vorbehalten war, versuchten Mary Read und Anne Bonny den strikten Rollenbildern zu entkommen. Von beiden Piratinnen ist überliefert, dass sie bereits im Kindesalter als Jungen verkleidet wurden, um ihre Identität zu verschleiern. „Später konnte Mary in die britische Armee eintreten, indem sie sich als ihr Bruder ausgab“, erläutert Piratinnen-Expertin Laura Sook Duncombe. 1720 wurden beide Frauen Teil derselben Piratencrew, gingen laut einiger Quellen eine Liebesbeziehung ein und planten ihre Raubzüge fortan gemeinsam. Als sie von den Briten überwältigt und zum Tode verurteilt wurden, gaben beide eine Schwangerschaft bekannt. Ihre Erhängung wurde dadurch aufgeschoben und letztlich nie vollstreckt. Anders als die beiden verfolgten einige wenige Piratinnen auch größere Ziele: Die Korsin Louise Antonini kämpfte beispielsweise, inspiriert von den Idealen der Französischen Revolution, als Freibeuterin auch für soziale und politische Veränderungen.

Illustration einer Totenkopfflagge
Illustration: Philip Harris für ARTE Magazin

Terror als Taktik

Piraten wollten ihre Raubfahrten so profitabel wie möglich gestalten. Sie versuchten also, Schiffe kampflos in ihre Gewalt zu bringen und Schäden zu vermeiden. So auch die kleine Crew um Kapitän Jack Rackham, zu der Mary Read und Anne Bonny gehörten. Oft näherten sie sich ihren Gegnern unter falscher Flagge, um diese so lang wie möglich in Sicherheit zu wiegen. Oder sie schürten bewusst Angst bei zukünftigen Opfern, prahlten vor Gefangenen mit vermeintlich begangenen Gräueltaten oder hissten die Piraten- bzw. Totenkopfagge – als Warnung für alle, die nicht kapitulierten. Nach erfolgreichen Überfällen boten sich die engen, verwinkelten Buchten der Karibikinseln als ideale Verstecke an. Auf der Bahamainsel New Providence wurde Nassau, ein von Piraten besetzter Handelsstützpunkt, sogar zeitweise zum Heimathafen der gesamten britischen Piraterie. Hier gab es Lagerhäuser, in denen die Beute zeitweilig gesichert werden konnte. Auch Seeräuberin Mary Read fand hier eine Zeit lang ein Zuhause.

Illustration eines Piratenschiffs
Illustration: Philip Harris für ARTE Magazin

Piratinnen jenseits der Karibik

Während die Geschichten vieler Piratenkapitäne gut dokumentiert sind, ist die Quellenlage zu Piratinnen dünner. Nur wenige Persönlichkeiten stechen heraus, etwa die bereits erwähnte Piratenkapitänin Zheng Yisao, die Anfang des 19. Jahrhunderts im Südchinesischen Meer aktiv war. Als junge Frau arbeitete sie als Prostituierte, bis sie 1801 in die Fänge einer Piratencrew geriet – und deren Kapitän Zheng Yi heiratete. Schnell stieg sie zur Anführerin einer mächtigen Armada auf: Nach dem Tod ihres Mannes führte sie dessen Piratenimperium als „Witwe Cheng“ fort und vereinte rivalisierende Flotten. Sie befehligte zeitweise bis zu 1.000 Schiffe und 70.000 Personen und kontrollierte mit ihrer Seestreitmacht wichtige Handelsrouten. 1810 verbündeten sich die chinesische Marine und europäische Seemächte, um Zheng Yisao zu bezwingen. Sie verhandelte Straffreiheit sowie das Recht, ihre Beute zu behalten. Die steinreiche Piratin wurde zur sesshaften Geschäftsfrau: