Es ist schwer, sich Suzi Quatro in einem anderen Berufsfeld vorzustellen als in dem, das sie schon sehr früh gewählt hat. Ihre Geschichte beginnt im Herzen der USA: Aufgewachsen in Michigan, im Speckgürtel von Detroit, spielte sie mit ihren Schwestern in verschiedenen Bands, bevor sie Anfang der 1970er Jahre als 20-Jährige nach England zog und zum Solostar wurde. Vieles an ihr war neu: dass sie als Frontfrau eine Band von Männern anführte, dass sie in Lederoveralls über die Bühne wirbelte, hohe Plateausohlen trug und ihren riesigen Bass trotzdem kaum überragte. Der Erfolg gelang ihr vor allem in Europa, wo Songs wie „Can the Can“ (1973) oder „48 Crash“ (1973) und softe Radiohits wie „If You Can’t Give Me Love“ (1978) oder „Stumblin’ In“ (1978) einen Nerv trafen. Ihr Selbstbewusstsein sei ansteckend gewesen, so erinnerten sich Musikerinnen wie Debbie Harry oder Joan Jett später. Denn für viele ihrer Generation war Quatro die erste Frau, die selbstverständlich ihren Platz im Rockgeschäft reklamierte. Bis heute hat sie mehr als 55 Millionen Platten verkauft. Im britischen Essex lebt sie in einem Herrenhaus aus dem 15. Jahrhundert, pendelt aber regelmäßig nach Hamburg, wo ihr Mann wohnt. Zum Video-Interview hat sich Suzi Quatro zu Hause in ein Zimmer gesetzt, dessen Wände voller goldener Schallplatten hängen.
ARTE Magazin Frau Quatro, Sie stammen aus Detroit, einst die Autostadt der Welt. Woran denken Sie, wenn Sie sich an Ihre Kindheit erinnern?
Suzi Quatro Wir waren eine große Familie mit fünf Kindern, Sie können sich also vorstellen, dass es bei uns extrem laut zuging. Es war auch ein sehr musikalischer Haushalt, denn mein Vater war Musiker und jedes von uns Kindern lernte mindestens drei Instrumente. Die Familie hatte etwas Inselhaftes, denn wenn man so viele Geschwister hat, braucht man kaum jemand anderen. In Detroit gab es Motown und wunderbare Rock-’n’-Roll-Bands. Ich vermisse diese Zeit, denn auch wenn ich seit 1971 in England lebe, ist Detroit meine Heimat.
ARTE Magazin Können Sie die Stadt noch immer aus Ihrer Musik heraushören?
Suzi Quatro Zu hundert Prozent. Ich war ein fanatischer Motown-Fan: James Jamerson, der Bassist der Funk Brothers, war mein Held; und noch heute kenne ich sämtliche Tanzschritte der Temptations auswendig. In meiner Musik klingt dieser Einfluss in den Backing Vocals durch, die bei den Motown-Platten der 1960er Jahre fast genauso wichtig waren wie die Lead Vocals. Natürlich hört man auch den Einfluss des weißen Rock ’n’ Rolls. Detroit besitzt eine besondere Energie. Alice Cooper, Iggy Pop, Bob Seger, die White Stripes: Die Bands der Stadt spielen mit dem Fuß auf dem Gas.
ARTE Magazin Ihre Familie war streng katholisch, trotzdem ließen Ihre Eltern Sie schon als 14-Jährige mit der Band The Pleasure Seekers auf Tournee gehen. Wie passt das zusammen?
Suzi Quatro Das war eine Familienangelegenheit, vielleicht hat es sie deshalb nicht gestört. Zwei meiner Schwestern spielten in der Band; und der Mann meiner ältesten Schwester war unser Manager. Mein Vater hat mich sowieso immer sehr unterstützt. Als wir die Band gründeten, schenkte er mir meinen ersten Bass, einen 1957er Fender Precision. Der beste aller Bässe, übrigens auch der schwerste und der am schwierigsten zu spielende, was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste. Es war in etwa, als würde man einer 16-Jährigen zum Führerschein einen Rolls Royce schenken. Es dauerte dann nicht lange, bis ich aus einem Hotel in New York zu Hause anrief und meinen Eltern eröffnete, dass ich nicht zurückkommen und die Schule beenden würde, weil ich gefunden hatte, was ich für den Rest meines Lebens tun wollte.
ARTE Magazin Wie reagierten Ihre Eltern?
Suzi Quatro Mein Vater wurde sehr still. Dann fragte er: „Kann ich irgendetwas tun, um deine Meinung zu ändern?“ Ich erwiderte: „Nein!“ – und er legte leise den Hörer auf. Das verfehlte seine Wirkung nicht, ich fühlte mich, als hätte jemand meine Lebensader durchtrennt. Ich blieb dann noch sehr lange auf dem Bett sitzen und grübelte. Aber er ließ mich gehen.
ARTE Magazin 1971 zogen Sie allein nach London. Damals gab es eigentlich nur Männer im Rockgeschäft. Fiel es Ihnen leicht, sich durchzusetzen?
Suzi Quatro Nun, ich bin eine verdammt gute Bassistin. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, ob ich etwas als Mädchen tun kann oder nicht – was vermutlich auch daran liegt, dass es bei uns zu Hause vier Schwestern gab und bloß einen Bruder. Ich schätze, ich habe das Problem nicht gesehen, weil ich mir nicht erlaubt habe, es zu sehen. Und ich kann Ihnen sagen: Wenn man in den Clubs aufwächst, so wie ich seit meinem 14. Lebensjahr, lernt man, mit den üblen Typen umzugehen. Ich habe ein sehr schnelles Mundwerk. Ich lasse mir nichts gefallen.
Ich trug kein Make-up, aber die Jungs waren alle geschminkt!
ARTE Magazin In den 1970er Jahren waren Sie zu Gast in einer britischen Talkshow, als der Moderator Ihnen vor laufender Kamera auf den Hintern schlug. Heute völlig undenkbar.
Suzi Quatro Meine natürliche Reaktion wäre es gewesen, ihm eine runterzuhauen. Aber sofort ging mir durch den Kopf: Du bist live im Fernsehen. Wenn du jetzt eine Szene machst, werden sie in den Zeitungen schreiben: Für wen zum Teufel hält sich Suzi Quatro? Er hat es nicht böse gemeint, ein kleiner Klaps auf den Hintern! Also habe ich mich sehr langsam umgedreht und mich hingesetzt. Wären wir hinter der Bühne gewesen, hätte er auf dem Boden gelegen.
ARTE Magazin Schaut man sich Fotos aus dieser Zeit an, etwa mit Debbie Harry von Blondie oder Joan Jett von den Runaways, bekommt man trotzdem den Eindruck: Neben anderen Rocksängerinnen wirkten Sie wie ein nettes Mädchen von nebenan.
Suzi Quatro Das war ich auch! Meine Mutter sagte immer, ich sei von all ihren Kindern das sanfteste
und schüchternste gewesen. Ich schätze, das sieht man mir an. Den Swagger lasse ich auf der Bühne. Ich war auch nie ein Cliquenmensch. Ich führe lieber ein Gespräch mit einer Person als mit einer Menge von Leuten.
ARTE Magazin Es hat Sie nicht gereizt, über die Stränge zu schlagen?
Suzi Quatro Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll – nein, das war nichts für mich. Ich habe in meinem Leben zwar ein paar Zimmer zerlegt, einmal etwa, nachdem ich acht Monate lang ununterbrochen auf Tour war. Da sind wir alle ein bisschen durchgedreht. Aber prinzipiell bin ich recht normal. So normal, wie man in diesem Beruf sein kann.
ARTE Magazin Wie kann man sich das vorstellen?
Suzi Quatro Meinen Alltag führe ich anders. Bei mir zu Hause gibt es oben im dritten Stock ein Zimmer voller Bassgitarren, Awards, Poster, alter Outfits. Es ist der ruhigste Raum im Haus, und dort wohnt mein Rockstar-Ego. Ich gehe hoch, um in Erinnerungen zu schwelgen, und anschließend mache ich die Tür hinter mir zu. Aber wenn man auftritt, braucht man sein Künstler-Ego, sicher.
ARTE Magazin Was empfinden Sie auf der Bühne?
Suzi Quatro Ich fühle mich zu Hause. Das war schon beim ersten Mal so. Ich habe das Gefühl, mit dem Publikum zu einer Einheit zu verschmelzen, so als würde ich auf beiden Seiten zugleich stehen.
ARTE Magazin Spüren Sie auch Macht? Die Möglichkeit, die Gefühle anderer Menschen zu lenken?
Suzi Quatro Ich mag es zwar, der Boss zu sein, aber: nein. Ich verstecke auch meine Gefühle nicht, wenn überhaupt, bin ich zu weich. So viel zum Thema Nettigkeit im Rock ’n’ Roll. Ich lächle immer.
ARTE Magazin Die Countrysängerin Dolly Parton hat einmal gesagt: „Meine Gitarre ist mein Doktor.“ Stimmen Sie zu, dass das Musikmachen eine therapeutische Wirkung besitzen kann?
Suzi Quatro Absolut. Das ist der Antrieb. Man schreibt, um sich die Dinge von der Seele zu schaffen. Mit Poesie ist es dasselbe. Man kann sich nie sicher sein, was am Ende dabei herauskommt.
ARTE Magazin Man hat Ihre Musik als Glam Rock bezeichnet, konnten Sie das nachvollziehen?
Suzi Quatro Nein, in die Schublade hat man mich bloß gesteckt, weil meine ersten Hits in diese Zeit der Musikgeschichte fielen. Dabei habe ich nicht mal Make-up getragen, die Jungs waren alle geschminkt!
ARTE Magazin Die Overalls, die Haare – vermutlich lag es an diesen Ähnlichkeiten.
Suzi Quatro Oh ja, sicher. Die Outfits habe ich mir gemeinsam mit Mickie Most überlegt, dem Produzenten, der mich nach England geholt hatte. Ich bestand auf Leder, er hatte die Idee mit dem Jumpsuit. Mir gefiel das, weil ich wie Elvis Presley sein wollte.
ARTE Magazin Gab es einen Moment, in dem Sie den Rock ’n’ Roll verstanden haben?
Suzi Quatro Ich schätze, da war ich erst fünf Jahre alt; und auch das hing mit Elvis zusammen. In den 1950er und 1960er Jahren saß man als US-amerikanische Familie am Sonntagabend quasireligiös vor dem Fernseher und schaute die „Ed Sullivan Show“ an, wir auch. Wir hatten uns also alle im Wohnzimmer versammelt, als Elvis Presley ins Bild kam und „Don’t Be Cruel“ sang. Meine älteste Schwester, die damals 14 Jahre war, drehte sofort durch. Ich weiß noch, dass ich mich zu ihr umdrehte und fragte: „Wieso schreist du so?“ Dann wandte ich mich wieder dem Fernseher zu und verstand es. Ich begab mich praktisch in den Fernseher hinein. Etwas drang tief in meine Seele ein.
ARTE Magazin Können Sie sich erklären, was Sie so sehr faszinierte?
Suzi Quatro Wenn ich jetzt zurückblicke, schätze ich, dass es das völlige Eintauchen in die Musik war. Dann geschieht alles organisch, man denkt nicht mehr darüber nach, ob man den Arm nun in diese oder jene Richtung bewegt. Man tut es einfach. Ich mag das überwältigende Gefühl, das einen ergreift. Es gefällt mir zwar, die Kontrolle zu haben, aber ich liebe es auch, die Kontrolle zu verlieren. Und im Rock ’n’ Roll ist man außer Kontrolle.
Zur Person
Suzi Quatro, Musikerin
Die Sängerin und Bassistin, geboren 1950, blickt auf eine jahrzehntelange Karriere zurück, mit Hits wie „If You Can’t Give Me Love“. Quatro, die wirklich so heißt, hat mehr als 55 Millionen Platten verkauft und zwei Gedichtbände veröffentlicht.